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Freizeit über Arbeit – was wir von jüngeren Generationen lernen können

«Die Generation Z ist faul, unmotiviert und fährt die AHV an die Wand!» Solche und ähnliche Statements liest man in letzter Zeit oft in den Medien. Auch auf diversen Social-Media-Plattformen sorgt das Thema für hitzige Diskussionen. Aber ist die heutige Jugend wirklich so schlimm? Im Gegenteil: Wir können viel von ihr lernen.

Es vergeht kaum ein Tag ohne Artikel, Posts oder Kommentare zu der ach so faulen und selbstverliebten Generation Z. Heutige Schlagzeile in einer Schweizer Boulevard- und Pendlerzeitung: «Weniger arbeiten: Fährt die Generation Z den Schweizer Wohlstand an die Wand?»

Darin wird festgehalten, dass es nicht mehr angesagt sei, für eine erfolgreiche Karriere hart zu arbeiten. Viel wichtiger sei die Freizeit und die Familie. Dieses Verhalten gefährde den Schweizer Reichtum und sogar die AHV. Wohlstand komme nicht von Erholung.

Je nach Beitrag könnte man rasch in Panik verfallen. Offensichtlich stehen uns düstere Zeiten bevor! Aber gibt es womöglich doch noch Hoffnung und woher kommt diese Haltung der Angst gegenüber der Generation Z?

Angst um bestehende Werte

Professor David Finkelhor (Soziologe, Universität New Hamsphire) hat dafür ein Wort: Juvenoia. Darin stecken die Bestandteile juvenil und Paranoia – das steht für die Angst vor der Jugend und zugleich auch die Angst um die Jugend. Juvenoia gibt es seit jeher und wird es wohl auch immer geben. Waren es vor ein paar Jahren noch die Millennials, so ist es heute die Generation Z. Aber diese zwei aktuellen Beispiele sind bei weitem nicht alle. Dieses Verhalten zieht sich zurück bis zu den alten Griechen. Vor den Griechen waren es die alten Ägypter und davor das alte Mesopotamien.

Eine mögliche Erklärung dafür ist die evolutionär bedingte Angst vor Veränderungen. Häufig möchte man bestimmte Werte oder Institutionen bewahren. Gemäss Professor Finkelhor gehen Vertreter der älteren Generation davon aus, dass die jüngere Generation diese Werte angreifen, abschaffen oder versuchen zu untergraben. Zudem wird die abwehrende Reaktion um so stärker, je rasanter die Veränderung eintritt.

Wunsch nach weniger Arbeit ist nicht neu

Diese Erklärung kann helfen zu verstehen, weshalb immer wieder Generationenkonflikte entstehen. Doch Veränderungen gab es immer und wird es immer geben. Alleine ein Blick auf die Entwicklung der wöchentlichen Normalarbeitszeit in der Schweiz reicht, um zu sehen, dass die Forderung der Generation Z nach mehr Teilzeitpensen oder generell weniger Arbeit gar nicht so neu ist.

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Wenn man die einzelnen Generationen über die Grafik legt, wird deutlich, dass jede Generation von den Forderungen, Träumen, Wünschen und Vorstellungen der jeweils älteren Generation profitierte. Es ist gut vorstellbar, dass die Einstellung der Generation Z für die nachfolgende Generation Alpha einiges bewirken wird.

Nordische Länder machen’s vor

Zudem liegt die wöchentliche Normalarbeitszeit für Vollbeschäftige in der Schweiz mit 41.8 Stunden (Bundesamt für Statistik) deutlich über dem europäischen Schnitt. Da besteht noch ein wesentlicher Unterschied zu Ländern wie Norwegen mit 37.5 Stunden oder Finnland mit 38.2 Stunden, welches gemäss Word Happiness Report 2022 das glücklichste Land der Welt ist. Ist es Zufall, dass dieses Land den Index für Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben anführt und 90.4% der Finninnen und Finnen ihr Leben als sehr ausgeglichen bezeichnen? Eher nicht.

Zudem muss berücksichtig werden, dass Wohlstand durchaus die Folge von Erholung sein kann. Denn kürzere Arbeitszeiten bewirken eine höhere Produktivität, weil die Leistungsfähigkeit und Konzentration höher sind und weniger Fehler gemacht werden (Seifert, 2007).

Länger gesund – ein Profit für die ganze Gesellschaft

Somit können wir alle gelassen bleiben und uns über die Forderungen der nachkommenden Generationen freuen. Manches mag utopisch sein, anderes zu früh. Doch die Verschiebung der Prioritäten von der Karriere auf Freunde und Familie sowie mehr Sinnhaftigkeit und mehr Erholung ist durchaus positiv für die gesamte Gesellschaft. Denn schaut man sich die gemeinsamen Merkmale der sogenannten blauen Zonen der Welt an (Regionen mit deutlich höherer Lebenserwartung), gehören Familie, gute soziale Kontakte, soziales Engagement, weniger Stress und guter Schlaf nebst weiteren Punkten unweigerlich dazu.

Wenn wir uns also trauen, etwas weniger gestresst durch den Alltag zu navigieren, uns mehr Zeit nehmen für unsere Freunde und uns sinnstiftenden Arbeiten widmen, können wir durchaus gesünder älter werden. Und davon profitiert die ganze Gesellschaft.

Quellen:

David Finkelhor, 2011
https://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.362.8326&rep=rep1&type=pdf

Michael Siegentahler, 2017
https://www.socialchangeswitzerland.ch/wp-content/uploads/2017/06/Siegenthaler_Arbeitszeit_28Juni2017.pdf

WHR, 2022
https://worldhappiness.report/ed/2022/

Finland Toolbox, 2022
https://toolbox.finland.fi/themes/functionality-and-wellbeing/country-ranking-work-life-balance/

Hartmut Seifert, 2007
Kurze Arbeitszeit, hohe Produktivität – Hans-Böckler-Stiftung (boeckler.de)

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